Trauer
Dieses Jahr habe ich meine liebe Omi verloren. Es waren Wochen voller Ängste, Sorgen und Hoffnung. Es waren aber auch Wochen der Liebe und Dankbarkeit. Wir hatten das Glück uns zu verabschieden. Oma hat sich bewusst gegen eine Behandlung ihrer Erkrankung entschieden. Dem Tod gegenüber stand die Querschnittslähmung. Da meine Oma mit ihren 89 Jahren noch recht fit war, war einen Leben im Bett für sie nicht vorstellbar. Nach dem Tod ihres Mannes, meines Opas, hat meine Oma 14 Jahre lang alleine gelebt. Mitten auf dem Land und ohne Führerschein. Sie hatte immer viel zu tun: Die Kleidung der Nachbarn ändern und flicken – meine Oma war eine sehr gute Näherin, Kuchen backen, ihre Gwächshäuser bepflanzen. Tomatenpflanzen selber ziehen, puzzeln, Gedächtnistraining, Rätseln, Lesen, Fernseh gucken, Geburtstagskarten für einen ihrer zehn Enkel schreiben. Ab und zu habe ich ihr im Haushalt geholfen. Ich habe dann Staub gewischt und die saß auf ihrem Bett und hat Wäsche zusammen gelegt. Das waren immer so schöne Alltagssituationen – bis heute habe ich nicht verstanden, warum der Alltag von einigen so verteufelt wird, aber dazu werde ich bestimmt nochmal einen separaten Text schreiben. Meine Oma war der ehrlichste Mensch den ich kannte. Immer direkt raus. Das war manchmal auch hart, wenn die Worte so ungefiltert aus ihr rauskamen. Aber ihr Herz saß am rechten Fleck. Ich konnte Oma alles fragen, sie hat mir immer ehrlich geantwortet und nichts verschönert. Ich tue mich schwer damit, mich jemanden zu öffnen und tiefe Gespräche zu führen. Nur bei Oma konnte ich ich selbst sein – natürlich kann ich das auch bei anderen Menschen – aber mit Oma war das etwas ganz besonderes. Ich habe ihr immer gesagt wie lieb ich Sie habe und heute bin ich froh darüber. Auch Oma hat mich immer in den Arm genommen und mir gesagt wie doll sie mich liebt hat. Manchmal hatte sie Tränen in den Augen und ist 30 Jahre in der Zeit zurück gesprungen. Als ich als kleines Mädchen bei ihr und Opa war und wir zusammen gesungen haben. Als Kind wollte ich immer, dass Oma mit mit etwas baut, deshalb heißt meine Oma für mich bis heute „Oma Baun“.
Als junges Mädchen musste meine Oma aus Ostpreußen flüchten. Mir ihrer Familie ist sie im Winter bei bitterer Kälte und unendlicher Grausamkeit nach Norddeutschland geflüchtet. Vermutlich rührt daher auch mein Gerechtigkeitssinn, denn wie damals mit den Flechtingen umgegangen worden ist trifft mich tief. Oma hat gesagt, dass die Leute damals die Straßenseite gewechselt haben, wenn ein Flüchtling ihnen entgegen kam. Mein Opa stammt ebenfalls aus Ostpreußen und je älter ich werde, um so dankbarer bin ich, dass ich heute überhaupt hier bin. Das Schiff, dass vor dem Schiff meiner Oma und ihrer Familie auf der Flucht abgelegt hat, war die Gustloff. Ich denke dazu brauche ich nichts weiter sagen, die Geschichte vom Untergang kennen wohl die meisten.
Oma, eine so starke Frau, die alles mit sich alleine ausgemacht hat. Ich durfte sie begleiten, 32 Jahre lang. Die letzten beiden Wochen waren die intensivsten, die wir je zusammen hatten. Ich habe ihr Hand gehalten, ich habe geweint und meine Liebe mit ihr geteilt. Wir haben, bis sie nicht mehr aufgewacht ist, immer noch ehrlich miteinander geredet. Ich habe Oma gesagt, was es für ein Geschenk ist sie begleiten zu dürfen und dass es unheimlich traurig und auf der andern Seite auch schön ist. Wir haben Lieder aus Omas Kindheit gehört und sie hat, so gut wie sie es noch konnte, mitgesungen. Sie hat uns gesagt, dass wir ihre Sachen gerecht aufteilen sollen und vor allem hat sie oft genug gesagt, dass ich ihre Nähmaschine bekommen soll und nun endlich mal das Nähen lernen soll. Oma war gerne etwas forsch und so ist sie bis zum Schluss geblieben. Ich werde nie vergessen, wie sie in ihrem Krankenhausbett lag und ihre beiden Teddys festgehalten hat. Die wollte sie gerne festhalten, wenn sie für immer einschläft und das hat sie dann auch getan.
Während ich diese Worte schreibe läuft mir sämtliche Flüssigkeit aus dem Gesicht und das ist ok. Denn eine Erfahrung habe ich gemacht: Wir Menschen mögen nicht gerne mit trauernden Leuten umgeben sein. Es wird zwar gefragt wie es geht aber als „Trost“ wird immer gesagt: Sie war doch schon alt.
Ja sie war alt und sie war meine Oma, die Mutter meines Vaters, mein Ursprung, meine engste Verbindung, meine Liebe und meine Familie. Und verdammt nochmal ich will um Oma trauern auch wenn sie 89 Jahre alt geworden ist. Mir ist selbstverständlich klar, dass das ein stolzes Alter ist und mir ist auch klar, dass hinter dem „Sie war ja auch schon alt“ Angst steckt. Wir lieben Menschen versuchen uns die schlimmen Dinge oft gut zu reden oder wir ignorieren sie, ich kann mich davon nicht frei sprechen. Nur je älter ich werde, desto Nachsichtiger werde ich mit den Menschen. Ich weiß, dass es niemand böse meint und lasst uns doch alle versuchen unsere Mitmenschen zu verstehen, das heißt nicht, dass wir alles gut finden müssen aber es ist eben auch nicht unser Bier. Lasst uns toleranter werden.